Audiovisuelle Geschichtsstunde
Artikel von Andreas Kiener
Auf einen wahren Schatz stieß Regisseur Göran Hugo Olsson bei einer Recherche in den Kellerarchiven des schwedischen Fernsehens. 16-Millimeter-Filmrollen mit bisher niemals gezeigtem Material von zentralen Figuren der Black Power Bewegung aus den 1960er und 1970er-Jahren.
Die Aktivistin Angela Davis wartet im Gefängnis auf ihren Prozess. Sie erzählt davon, wie in ihrer Jugend der Bürgermeister ihrer Heimatstadt zu Rassengewalt aufrief. Black Panther Stockley Carmichael, Vater des Begriffs “Black Power”, interviewt seine eigene Mutter. Sie berichtet davon, wie ihr Mann ständig Jobs verlor, weil er schwarz war. Weitere Bänder zeigen Black Panther-Mitbegründer Eldrige Cleaver in Algerien oder Louis Farrakhan, den spätere Führer der Nation of Islam.
Olsson montierte diese Fundstücke zum Film The Black Power Mixtape 1967-1975. Der Film ist ein ein lebendiges Mosaik der Stimmen und Themen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung jener Zeit. Die Stärke des Films liegt in der Kraft des verwendeten Archivmaterials. Behutsam verknüpfen die Bilder die persönlichen Beweggründe und die alltäglichen Probleme der Schwarzen in Amerika mit den politischen Agenden der Bürgerrechtsbewegung.
Aufnahmen von Kindern auf einem desolaten Spielplatz, Straßenszenen aus Harlem, kommentiert aus dem Off von Künstlern, Aktivisten und Musikern wie Erykah Badu, Talib Kweli, Harry Belafonte oder der gealterten Angela Davis, untermalt vom Soundtrack jener Zeit. Ein dichtes Geflecht aus Bild, Wort und Musik, ein audiovisuelles Mixtape.
Dass der Film eben keine Geschichtsstunde ist, entpuppt sich gleichzeitig als seine größte Stärke und seine größte Schwäche. Die schwarze Bürgerrechtsbewegung hat ja nach 1975 nicht einfach aufgehört zu existieren. Leute wie Carmichael oder Davis leben und wirken bis in die 1990er Jahre und die Gegenwart. Darauf wird in dem Film nicht eingegangen. Selbst Kommentare von Davis, die man offenbar zur Mitarbeit bewegen konnte, beschränken sich auf ihre historische Rolle. Die dargestellten Ereignisse wirken nicht wie ein Teil eines Entwicklungsprozesses, der immer noch statt findet, sondern wie ein abgeschlossener Vorgang, mit dessen Ergebnissen wir jetzt einfach leben.
Durch diese Entrückung in die Vergangenheit wird der Film allerdings leichter zugänglich. Es gelingt ihm, ein Gefühl für die Relevanz der schwarzen Bürgerrechtsbewegung zu vermitteln. Das ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil als Modell für ähnliche gesellschaftsverändernde Strömungen wie die Frauenbewegung oder die Schwulen- und Lesbenbewegung in den folgenden Jahrzehnten und bis heute noch eine kaum zu unter nicht unterschätzende Wirkung entfaltet.
Die Forderung nach Freiheit ist heute allgegenwärtig. Sie hat sich als Metaerzähung tief tief in unsere Kultur eingegraben. Man könnte also glauben, die Bürgerrechtsbewegungen haben gewonnen. Aber das alles fühlt sich ein irgendwie leer an. Die Emphase kommt uns nicht nicht mehr ganz richtig vor. Das Ché-Guevara T-Shirt tragen wir nur noch ironisch oder gar nicht mehr. Wir recken die Faust kämpferisch in die Höhe. “Freiheit! plärrt das Megaphon. Und dann gehen wir heim und sind ein wenig einsam.
Ist die Sprache von Bürgerrechtsbewegungen durch ihre permanente und allgegenwärtige Verwendung unglaubwürdig geworden? Sind wir einfach protestmüde? Auf diese Fragen gibt der Film keine Antwort. Er wirft sie nicht einmal auf. Aber das wäre vielleicht auch etwas zu viel verlangt. Olson hat aus dem gefundenen Archivmaterial einen stimmungsvollen Film geschaffen, den man sich gerne ansieht. Der Film vermittelt die Energie der damaligen Bewegung. Was in den letzten 40 Jahren passiert ist, was von dieser Energie noch übrig ist oder eben nicht, das kann man nach dem Kinobesuch bei einem Gläschen Wein besprechen.